#SoSollWeb – Ein Marktplatz im Web

Annette Schwindt hat auf ihrer Seite eine Blogparade gestartet und mit dem Hashtag #SoSollWeb die zentrale Frage gestellt: “Was können wir tun und was brauchen wir noch für ein besseres Web?”

Eine spannende und zugleich drängende Frage in diesen turbulenten Zeiten. Social-Media-Netzwerke werden von exzentrischen Milliardären auf rechts gedreht, Algorithmen werden im Geheimen so angepasst, dass sie uns am besten beeinflussen, und mit dieser Macht werden anscheinend ganze Wahlen beeinflusst. Was früher nach dystopischer Science-Fiction klang, ist längst Realität und gibt mir schlaflose Nächte.

Wie Annette erzähle ich auch inzwischen vielen Leuten vom ‚guten alten Web‚ mit offenen Schnittstellen und freien Systemen – und erkläre die Nutzung von Feedreadern, Podcatchern und Blogs.

Da gerade auch die große Aktion #SaveSocial läuft, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um meine Gedanken dazu in einem Blogpost festzuhalten.

So wie es jetzt ist? Definitiv nicht!

Das Web muss sich grundlegend verändern. Es ist eine Katastrophe, dass es für viele Menschen nur noch aus wenigen Diensten wie Instagram, TikTok, X und Facebook besteht – mit Geschäftsmodellen die nur darauf basieren, Milliarden von Nutzerdaten zu sammeln, zu verkaufen und die Nutzer mit der passenden Werbung zu beschallen. Das ganze Gesteuert von einzelnen, mächtigen Personen die anscheinend kein Gesetzt mehr fürchten müssen. SO DEFINITIV NICHT!

Marc-Uwe Kling hat es treffend formuliert: „Dass uns das freie Web weggenommen wurde, ist der größte Diebstahl der Geschichte.“

Wie wünsche ich mir das Web?

Ich wünsche mir ein Web, das frei, dezentral, nutzerzentriert und anonym ist. Ein Raum mit klaren, fairen Regeln, in dem Algorithmen offen einsehbar und anpassbar sind. Ein Netz, das sich zur Datenminimierung und zum Schutz der Nutzerinformationen verpflichtet – und in dem keine übermächtigen, apokalyptisch agierenden Monopolisten das Sagen haben.

Bunt ist der Markt von Catania auf Sizilien.

Ich stelle mir das Web wie einen Marktplatz vor

Wenn ich dort ankomme, ist es zunächst ein scheinbar chaotischer Ort. Menschen wuseln durcheinander, es ist laut, alle reden auf einmal – Es scheint hier alles zu geben und alles auf einmal.  Ich kann mich aber frei bewegen und selbst entscheiden, wohin ich gehe und was mich interessiert.

Ich schlendere über den Markt und finde das, was ich suche: Am gemütlichen Kaffeestand lese ich die aktuellen Nachrichten, die mich wirklich interessieren. Am Gemüsestand bekomme ich ein leckeres Rezept für mein Abendessen, bei dem Stand des lokalen Geschäfts kaufe ich mir neue Schuhe und in einer Ecke treffe ich mich mit Freunden und Fremden, um über aktuelle Themen zu diskutieren.

Natürlich gibt es auch einen Platz für die Fotografie. Ich zeige anderen meine Bilder direkt auf dem Bildschirm, bei einem virtuelle Diaabend oder präsentiere meine Werke an einem eigenen Stand, groß ausgedruckt und wunderschön gerahmt. Ich erzähle die Geschichten hinter den Bildern, beantworte Fragen und tausche mich aus.

Nachrichten kann ich auf dem Markt mit jedem so austauschen, dass niemand außer dem Empfänger sie mitbekommt. Nicht der Bote, nicht der Papierlieferant, nicht einmal die Marktverwaltung.

Wer sorgt für Ordnung?

Dieser Marktplatz liegt nicht im Niemandsland, sondern in einer Gemeinschaft. Diese stellt die Infrastruktur bereit – Strom, Wasser, Müllentsorgung – und sorgt mit einem Polizisten dafür, dass die Regeln eingehalten werden. Dafür wird eine kleine Gebühr fällig, die Standbetreiber und Besucher gemeinsam tragen. Doch sie bleibt bezahlbar, denn der Markt ist wichtig für die Gesellschaft: Hier gibt es wertvolle Güter und noch wertvolleres Wissen – was sehr wichtig ist.

Warum gerade dieses Bild?

Einerseits, weil ich Märkte liebe, vor allem auch fotografisch. Sie stehen für ein gutes, offenes, regionales Konzept, das wir aber kaum noch nutzen. Große Shoppingcenter sorgen dafür, dass aus Bequemlichkeit kaum noch jemand den Markt besucht – Geld kommt nun nur noch bei internationalen Unternehmen an und nicht mehr regional. 
Dies ist leider in der ‚realen‘ Welt so wie im WorldWideWeb. Ist das Konzept einfach überholt oder haben wir uns einfach zu sehr von dieser vermeintlichen Einfachheit wegführen lassen?

Wie könnte der Markt im Web abgebildet sein?

Welche Strippen müssen wir Ziehen für ein bessere Web?

Zurück zur Frage: „Was brauchen wir noch für ein besseres Web?“ bzw. für unseren digitalen Markt?

Eigentlich braucht es nicht viel – und vieles davon existiert bereits. Das Web könnte genauso funktionieren, wenn Inhalte über offene Protokolle verteilt werden. Schon immer können wir E-Mails versenden und empfangen, ohne auf einen zentralen Anbieter angewiesen zu sein. Diese Seite hier wird über das HTTPS-Protokoll aufgerufen, ohne dass es einen großen Dienst braucht, der es kontrolliert. Ein weiteres Beispiel sind RSS-Feeds, die es ermöglichen, Inhalte unabhängig von Plattformen zu abonnieren. Und natürlich das Fediverse, das bereits zeigt, dass ein dezentrales, interoperables Netzwerk nicht nur möglich, sondern bereits Realität ist.

Raus aus dem Einkaufscenter

Aktuell befinden wir uns in den großen ‚Einkaufscenter‘ namens Insta Plaza, FaceMall, X Market oder Tik Village. Hier halten wir uns vor allem auf, weil auch alle anderen hier sind und es so schön einfach scheint: Alle Informationen an einem Punkte, alles wird mundgerecht serviert, man scheint alles zu bekommen. … und die Fenster nach Aussen sind zugemauert und die Ausgangstüren sehr versteckt.

Ähnliches geschieht zum Beispiel bei meinen gern gehörten Podcast. Eigentlich frei hören sehr viele diese in dem grossen ‚Plattenladen‘ Spotify. Der Podcast Produzenten bekommt nix von denen, obwohl deren Werke hier angeboten werden. Immer mehr Inhalte sind nur noch hier zu hören und die Hörer denken ‚ich zahlen doch an den Plattenladen, dann bekommt doch auch der Podcast Geld’ – Nein. Meine Podcasts sammle ich in meinem Podcatcher ‚Overcast‘ und brauche dafür nicht durch die Spotify Plattenbörse laufen sondern holen mir die frische Ware direkt beim Produzenten ab.

Genauso wünsche ich mir, dass ich meine Timelines aus Mikroblogging-Diensten wie Bluesky oder X, oder interessante Fotos von Plattformen wie Instagram oder VERO auf dieselbe Weise einbinden kann. Die Entscheidung, wem ich folge und welche Inhalte ich sehe, sollte allein bei mir liegen – gesteuert durch keinen Algorithmus oder einen der für mich einsehbar ist und ohne das jemand dazwischen steht und mich belauscht. Das Fediverse zeigt bereits, dass so etwas möglich ist, doch es müsste noch weiter gedacht werden.

Mikrocommunities

Auf einem Marktplatz gibt es unterschiedliche Bereiche. Manche sind offen für alle, in anderen gibt es aber auch Türsteher oder einen Eintrittspreis. Das ist auch gut so: Microcommunities finde ich auch eine tolle Entwicklung. Diese bieten ruhigen Räume abseits vom Trubel des Marktes für Gleichgesinnte. In der Fotografie genieße ich zum Beispiel den „Fotografie tut gut“-Freundeskreis als wertvollen, persönlichen Austauschraum unter gleichgesinnten. Ähnliches entsteht gerade bei Frank Fischer Fotoschule auf Skool – und ich bin sicher, dass es solche Nischen in jeder Community oder jedem Steckenpferd gibt.

Kein Hass – im Web

Was fehlt? Ich wünsche mir, dass diese Gemeinschaften nicht technisch isolierte Inseln sind. Ich möchte diese genauso über meine bevorzugte App besuchen können, anstatt erst „den Markt verlassen zu müssen“, mit dem Bus ans andere Ende der Stadt zu fahren und dort meine Leute zu treffen.

Regeln?

Vieles davon existiert bereits, wie oben beschrieben. Spannend ist jedoch die Frage, wie offen man diesen digitalen Marktplatz gestaltet und zugleich sinnvoll reguliert. Wenn jeder Stand grenzenlos wächst und immer lauter wird, entsteht Chaos. Regeln sind nötig, um ein faires Miteinander zu ermöglichen, ohne dabei die Offenheit und Vielfalt des Marktes zu zerstören.

Auch darf es nicht passieren, dass plötzlich ein gigantisches Einkaufszentrum direkt nebenan gebaut wird – mit Dumpingpreisen und allgegenwärtiger Werbung, die nach und nach wieder alle Besucher anzieht und den Markt leerfegt. Statt echter Vielfalt habe wir dann wieder eine zentrale Plattform, in der alles an einem Ort stattfindet, kontrolliert von wenigen. Damit das nicht geschieht, braucht es Mechanismen, die den Marktplatz unterstützen und die Dezentralität schützen. Letztendlich kommen wir um einen Polizisten der patrouilliert nicht drum herum.

Selbst was tun – Jetzt

Nun fragt Annette aber auch, „Was können wir tun„, um diesem Ideal eines offenen und freien Webs näher zu kommen. Ich hab für mich einfach angefangen und in den letzten Wochen war ich ziemlich aktiv.

  • Den Virtuellen Bilderabend z.b. gibt es zwar schon länger – aber hier versuchen wir nun so wenig wie möglich Instagram in Zentrum zu stellen. Weiter sollte dies schon immer ein kleiner Ort sein um Fotografie in Ruhe anzuschauen und nicht nur schnell ‚dran vorbei zu swipen‘.
  • Ich habe vielen Menschen die Vorteile den RSS-Feeds und eines Blogs nähergebracht – mit Erfolg. Einige kennen nun die Vorteile vom Feedreader und dem langsamen schlendern über dem Markt. Stefan und Knut zum Beispiel haben bereits ihren eigenen „Marktstand“ im Web aufgebaut.
  • Mit meiner Anleitung zu Bluesky konnte ich hoffentlich einigen Fotofreunden die sich etwas Zeit genommen haben, den Absprung von Instagram erleichtern und ihnen die Vorteile alternative Plattform zeigen.
  • Ein weiteres kleines Puzzlestück ist der Community-Kalender auf Bilderabend.de. Hier können Fotoveranstaltungen öffentlich gesammelt werden und lassen sich über das iCal-Protokoll auch direkt in den eigenen Kalender oder auf die eigene Webseite einbinden. Bisher wurden die Plakate vieler Veranstaltungen leider oft nur im Einkaufscenter veröffentlicht – nun hoffentlich auch öffentlich und für alle hier auf der Pinnwand am Markplatz.
  • Seit wenigen Tagen gibt es auf Bilderabend.de außerdem eine Linkliste mit Blogroll, die nun einen Überblick darüber gibt, welche spannenden Fotoblogs existieren und welche tollen Inhalte dort regelmäßig veröffentlicht werden – also ein kleiner Standplan um Neulingen beim Weg über den Markt zu helfen.

All das sind nur sehr kleine Schritte, aber jeder einzelne hilft dabei, das Web für einige wieder etwas angenehmer zu gestalten. Und Ja, es ist nur ein sehr kleiner Marktplatz, irgendwo in einem Vorort, in einer sehr schlecht auffindbaren Ecken, und alles ist bislang nur spärlich besucht. Doch er existiert – und das ist der erste Schritt. Es gibt ausreichend Platz, damit weitere Menschen hier ihre Marktstände aufbauen, eigene Ideen verwirklichen und Inhalte teilen können.

Auf einem Markt in Georgien geht es noch sehr herzlich zu.

Probleme

Ich gebe zu ich sehe das hier nun sehr romantisiert, aber ich denke diese untechnische Beschreibung zeig das Problem ganz gut. Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir: Die großen Einkaufszentren bzw. Plattformen sind der Kern vielen Übels. Sie halten uns gefangen, nutzen uns aus, manipulieren uns und treiben Spaltung und Radikalisierung voran – gelenkt von Tech-Milliardären, Staatsoberhäuptern oder einer gefährlichen Mischung aus beidem. Ohne sie wäre die Welt und das Web vielleicht nicht perfekt, aber auf jeden Fall besser.

Natürlich würde das auch nicht alle Probleme lösen. Der Markt hätte immer noch seine Schattenseiten: Es gäbe den Zeitungstypen an der Ecke, der statt einer echten Zeitung eine selbst gedruckte Verschwörungsbroschüre verteilt und dem Stammtisch weiter erklärt die Welt sei ein Würfel. Den rechten Schlägertrupp, der durch die Gassen zieht und Marktstände zerstört. Den Anzugträger, der Panik schürt, indem er behauptet, Leute von außerhalb würden uns die Tomaten wegessen. Den Drogendealer, der sich in einer dunklen Ecke herumtreibt und verbotenen Dinge verkauft.

Und natürlich den Milliardär, der mit seinem Elektroauto wie ein Irrer über den Platz rast um den grosse Zucker Berg. Dazu kommen noch die seltsamen, wodkabetriebenen Roboter, die sich unkontrolliert bewegen, und die Behörde die an jedem Eingang die Ausweise kontrolliert und alles mit protokollieren was gesagt wird.

Der Markplatz ist also nicht automatisch ein Paradies. Aber er gibt uns zumindest die Chance, unsere eigenen Regeln zu setzen, Lösungen zu finden und selbst zu entscheiden, wie wir miteinander umgehen. Es ist auch ganz einfach. Wir brauchen auch einfach nur die Tür im Einkaufszentrum finden und herausgehen.

Raus aus dem Einkausfszentrum

Also fangt einfach an was zu machen! Schaut euch einfach mal ausserhalb des Einkaufscenters um.
Unterschreiben bei der Aktion #SaveSocial, löscht die Instagram-App, startet einen eigenen Webseite, geht ins Fediverse oder kommentiert einfach unter diesem Beitrag und alle anderem der Blogroll #SoSollWeb. Danke

Ähnliche Kurztrips

3 Gedanken zu: “#SoSollWeb – Ein Marktplatz im Web

  • Annette Schwindt 1. März 2025 at 13:25

    Ein schöner Vergleich, das gefällt mir! Ich möchte auch nicht, dass wieder eine Mall nach der anderen entsteht. Ich kaufe lieber regional. Dafür gebe ich auch gern mehr aus, wenn es Bio ist.

    Vielen lieben Dank fürs Mitmachen!

    (Schenkst Du mir nur bitte jeweils noch ein N? Annette = kleine Anne, nicht die Nicht-Nette )

  • Michael Koopmann 1. März 2025 at 13:43

    Danke dir

    Am ‘n’ soll’s nicht scheitern. Da habe ich noch ein paar übrig

  • Stefan 1. März 2025 at 17:11

    Der Vergleich ist toll!
    Ich mag meinen Marktstand, den ich selbst gestalten kann, bei dem ich nicht dem Mallbetreiber ausgeliefert bin, der umbaut ohne mich zu fragen und meinen gesamten Grundriss ändert, ob es mir passt oder nicht. Oder der intransparent steuert, wer meinen Laden sehen kann und wer nicht.
    In der gefühlten Wahrnehmung ist es so, dass ich an vielen Ecken des Markts höre, wie neue Stände entstehen. Viele Orte an die ich schlendern kann und von denen ich, Technik sei Dank, immer direkt eine Meldung bekomme, wenn etwas neues im Angebot ist. 🙂

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